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Alain de Benoist - Aus rechter Sicht, Bd. 2

AUS RECHTER SICHT (BAND 2)

Alain de Benoist

Julius Evola

"Das Nachstehende betrifft ausschließlich denjenigen, der - mag er auch in der gegenwärtigen Welt, selbst da, wo moderne das moderne Leben höchst problematisch und paroxysmal (in Anfällen auftretend) ist, engagiert sein - innerlich dieser Welt nicht angehört, ihr nachzugeben nicht bereit ist und sich aufgrund seines Wesens einer anderen Rasse zugehörig fühlt als der der meisten Menschen von heute" (Cavalcare la tigre, 'Den Tiger reiten').
Kurzer aristokratischer Bart, abgezehrtes Gesicht, hoher Wuchs: der Philosoph Julius Evola schrieb für einen kleinen Kreis, für die Menschen, die "mitten unter den Ruinen aufrecht geblieben sind". Er starb am 11. Juni 1974 im Alter 76 Jahren in seinem römischen Wohnsitz [gegenüber] des Corso Vittorio Emanuele. "Gegen 15 Uhr 15, wie man es ihm vorausgesagt hatte und wie er es sehnlichst wünschte", erklärte der Schriftsteller Pierre Pascal, ein Freund Evolas, der mehrere seiner Bücher ins Französische übersetzte.
Julius Evola war in Italien der hervorstechendste Vertreter einer 'traditionellen' Denkhaltung, die er selber auf Joseph de Maistre, Taparelli d'Azeglio und Solaro della Margherita zurückgehen ließ. Er wurde manchmal mit dem Deutschen Ernst Jünger verglichen oder, eher zutreffend, dem französischen Esoteriker René Guénon.
In dem alten Streit zwischen den Guelfen, den ausschließlichen Anhängern des Papsttums, und den Ghibellinen, für die das Heilige Römische Reich Deutscher Nation im selben Maße wie die Kirche eine Institution übernatürlichen Wesens war, fühlte er mit den zweiten.

Gegen die moderne Welt

Am 19. Mai 1898 in Rom geboren, befaßt sich Evola zunächst mit Nietzsche, Michelstädter und Otto Weininger (Geschlecht und Charakter). Während des Ersten Weltkriegs ist er Artillerieoffizier an der Front. Danach beteiligt er sich an den avantgardistischen kulturellen Bewegungen, die in Italien zur Entfaltung kommen: Dadaismus mit Tristan Tzara, Futurismus mit Marinetti, Gedichte, Gemälde. 1920 veröffentlicht er eine Schrift über die abstrakte Kunst (Arte astratta, posizione teoretica) in der Zürcher Dada-Reihe. Sie bestätigte ihn.
Seine wissenschaftliche Ausbildung bewegt ihn aber dazu, weiter hinaus zu schauen. Eine erste Reihe von Aufsätzen offenbart sein Interesse für die Philosophie (Teoria dell' individuo assoluto), den Esoterismus (La Tradizione ermetica, 1931), die geistige Entwicklung (Maschera e volto deli spiritualismo contemporaneo, 1932). Auszüge davon in der Fachzeitschrift 'Logos'.
Von 1927 bis 1929 leitet er die Zeitschrift Ur. Ein Jahr später betreut er La Torre. "Das Wort Ur", erklärte er einmal, "ist eine alte Bezeichnung des 'Feuers'. Aber es bezieht sich auch auf das 'Ursprüngliche' (eine Bedeutung, die es im Deutschen behielt)."
Das Jahr 1934 erlebt die Veröffentlichung einer grundletenden Schrift: Revolte gegen die moderne Welt. Es ist eine Art Manifest. Evola schildert, um sie gegenüberzustellen "zwei universelle Arten, zwei gegensätzliche apriorische Kategorien von Kulturen": die moderne Welt und die traditionelle Welt - eine Tradition, welche die westliche Esoterik (Abenteuer des Templerordens und Geheimnis des Gral) mit einer Rückkehr zu den Quellen der vorchristlichen Antike sowie einer "hyperboreischen" Vergangenheit verbindet.
Von vornherein wird der Gedanke des Fortschritts verworfen: "Nichts erscheint uns so widersinnig als jener Gedanke des Fortschritts und der daraus folgende der Überlegenheit der modernen Zivilisation, der sich selbst seine 'wissenschaftlichen' Alibis geschaffen hat, indem er die Geschichte fälschte, zerstörende Mythen in die Gehirne pflanzte und sich in jener unwürdigen, plebejischen Ideologie, aus der er letztlich entstanden ist, als Herrscher aufspielt."
Für Evola ist die moderne Welt "ein versteinerter Wald mit dem Chaos in seiner Mitte". Von daher ist die Geschichte der beiden letzten Jahrtausende nicht etwa die eines Fortschritts, sondern die einer Rückbildung.
Evola vergleicht den Okzident mit einem Körper. "Nachdem sie lebendig und beweglich waren, werden die Organismen von der Starre ergriffen, die den Körper in eine Leiche verwandelt. Dann tritt die Endphase der Verwesung ein." "Wir sind in die letzte Phase eines Zyklus eingetreten. Die Herrschaft der Maschine, die Entfaltung des Materialismus, der überhandnehmende Egalitarismus sind deren offensichtliche Zeichen. Eingeklemmt wird die europäische Kultur im Schraubstock des Bolschewismus und des Amerikanismus, die beide auf einer ökonomistischen Lebensauffassung gründen. Wir leben im dunklen Zeitalter der Altindianer (dem kali-yuga), im eisernen Zeitalter des klassischen Altertums, im Zeitalter des Wolfes aus der nordischen Welt. Die Tradition gerät in Vergessenheit."
Nachdem er auf diese Weise die historische Perspektive gewendet hat, verschweigt er keineswegs seine methodologische Voreingenommenheit: "Im allgemeinen ist die Ordnung der Dinge, mit denen wir uns hauptsächlich befassen, so, daß jedes Material, das 'historischen' oder 'wissenschaftlichen' Wert hat, das am wenigsten Brauchbare ist; und das, was als Mythos, Legende oder Sage ohne historischen Wahrheitsgehalt und ohne Beweiskraft ist, gerade dadurch eine höhere Wertigkeit erlangt und zur Quelle einer echteren und sicheren Erkenntnis wird (...) Nicht nur das Rom der Legende spricht für uns eine deutlichere Sprache als das geschichtliche, sondern auch die Sagen um Karl den Großen unterrichteten uns besser über die Bedeutung des Frankenkönigs, als die Chronisten und positiven Dokumente der Zeit es tun usw. Am Diskutieren und 'Beweisen' liegt uns daher wenig. Die Wahrheiten, die die Welt der Tradition verstehen lassen, sind nicht jene, die man 'erlernt' oder über die man 'diskutiert'. Entweder sind sie, oder sie sind nicht: Man kann sich nur an sie erinnern."
Er schließt mit den Worten: "In jedem Fall könnte das Abendland nur gerettet werden, wenn es in einem neuen, einheitlichen europäischen Bewußtsein zum traditionalen Geist zurückkehrte."
Gleich nach seinem Erscheinen erregt das Buch großes Aufsehen. Der Dichter Gottfried Benn fühlt sich nach dessen Lektüre wie "verwandelt". In Italien sind die Reaktionen gemäßigt. Wenn auch mit Mussolini eng befreundet, zählt Julius Evola zahlreiche Gegner in den Reihen der faschistischen Partei. Der Philosoph Giovanni Gentile ist ihm feindlich gesinnt. Der aristokratische Pessimismus, der aus dem Werk hervorgeht, paßt nicht zu einer Epoche, die den Triumphalismus auf Bestellung betreibt. Und sein 1928 erschienener Heidnischer Imperialismus (dt. 1933) läßt noch manche Zähne in den dem Konkordat wohl gesinnten Kreisen knirschen.
Evola interessiert sich weiterhin für die Esoterik. Nach La Tradizione ermetica veröffentlicht er ein Buch über die Askese des Buddhismus (La dottrina del Risveglio, 1943) und La Yoga della potenza (1949). In II mistero del Graal (1937) untersucht er "die Fundamente der ghibellinistischen Tradition des Reichs". Er legt auch den Grund zu einer "geistigen Anthropologie" und nimmt sich vor, am Beispiel Ferdinand Clauss' (Rasse und Seele, 1933) die Rasse nach Kriterien zu bestimmen, die nicht nur biologisch sind (Grundrisse der faschistischen Rassenlehre, 1942).
1945 hält er sich in Wien auf, als die Stadt einen schweren Bombenangriff erleidet. Am Rückgrat verletzt, verbringt Evola mehrere Monate im Krankenhaus. Er bleibt querschnittsgelähmt. Er kehrt 1948 nach Italien zurück. Zwei Jahre später legt er in dem kleinen Aufsatz Orientamenti neue Ideen vor, die er später in Gli uomini e le rovine (1953) entwickelt. Dann folgen Metaphysik des Sexus (1958), Cavalcare la tigre (1961), Ii cammino del Cinabro (1963), L'arco e la clava (1968) usw.

Der organische Staat

In Gli uomini e le rovine erörtert Evola die politische Frage. Sich an die junge italienische Rechte wendend, regt er ihr "eine allgemeine Anschauung des Lebens und eine rigorose Staatslehre" an. Dem modernen Staat setzt er das Ideal des bereits von Vico und Fustel de Coulanges hochgepriesenen organischen Staats entgegen: die Staatsform, wo jeder seinen Platz behauptet - so wie in einem Organismus jedes Organ seine Aufgabe erfüllt. Der Staat, sagt er, ist eine ebenso geistige wie 'physische' Einheit. Er nicht das 'Abbild' der Gesellschaft. Er ist die treibende Kraft, die diese Gesellschaft umgestaltet und gliedert und die - indem sie ihr ein Schicksal zuweist - aus einem Gemisch ohne Kohäsion eine echte, zu der Würde des Politischen erhobene Ganzheit macht.
"Das Fundament jedes echten Staats", schreibt Evola, "ist die Transzendenz seines Prinzips, d.h. des Prinzips der Souveränität, der Autorität und der Legitimität. Ausschließlich zum Bereich des Heiligen gehört beispielsweise der alte römische Begriff des imperium. Noch bevor er ein System überstaatlich-territorialer Hegemonie nennt, bezeichnet er die reine Macht des Befehls, die quasi mystische Kraft und die auctoritas, die demjenigen eigen sind, welcher ein Führungsamt bekleidet und Führungsqualitäten aufweist - sowohl im religiösen und kriegerischen Bereich als auch in dem Bereich der patrizischen Familie (der gens) und des Staats (der republica)."
Der Staat erscheint somit als ein hauptsächlich männlicher Begriff. Seine Beziehungen zum Volk (zum Vaterland, zur Nation) sind mit den Beziehungen des Mannes zur Frau, des pater familias zu seiner Familie, ja sogar - auf der Ebene des indoeuropäischen Glaubens - des Himmels zur Erde gleich. "So hing im alten Rom der Begriff des Staats und des imperium, d.h. der heiligen Herrschaft, eng mit der symbolischen Verehrung der männlichen Himmelsgottheiten, des Lichts und der oberen Welt zusammen - im Gegensatz zur finsteren Region der Mutter- und der unterirdischen Gottheiten."
Erst als die Hilfsquellen des Imperiums versiegt waren, als die Bevölkerung nicht mehr dessen Sinn wahrzunehmen vermochte, schickten sich die Staatsoberhäupter an, ihre Legitimität von 'unten' zu holen, sofern sie sie nicht mehr von 'oben' bekommen konnten. Es folgten die Demokratie, der Cäsarismus, die Diktatur und die Tyrannei - zwar unterschiedliche Staatsformen, die aber alle ihre Macht aus dem demos entnehmen und die zum Kommunismus führen, dessen ausgesprochenes Ziel die Abschaffung des Staats ist.
Nebenher stellt Julius Evola die egalitäre Illusion als eine einfache logische Absurdität hin: "Mehrere gleiche Wesen wären nicht 'mehrere', sondern eins. Die 'Gleichheit mehrerer' wollen ist ein Widerspruch an sich." In einer hierarchisierten Gesellschaft dagegen können einzelne 'Gleichheitsstufen' durchaus in Betracht gezogen werden. "Sofern der hierarchische Gedanke anerkannt wurde, war der Begriff der 'Ebenbürtigen' und des 'Standesgenossen' in der Vergangenheit häufig ein aristokratischer Begriff. In Sparta galt der Titel der homoioi (der 'Ebenbürtigen') ausschließlich der machtausübenden Elite. Im Unwürdigkeitsfall wurde er aberkannt. Auch im alten England war der Peer-Titel bekanntlich den Lords vorbehalten."
Giovanni Battista Vico (1668-1744), der Montesquieu anregte, schrieb bereits: "Die Menschen wollen zunächst die körperliche Freiheit, dann die geistige, das heißt die Meinungsfreiheit, sowie die Gleichheit mit den anderen; dannach wollen sie ihresgleichen übertreffen; und schließlich ihre Vorgesetzten unter-ordnen" (Neue Wissenschaft, II,23; dt. 1965).
Julius Evola ist zugleich bestrebt, den Elitismus gegen den Bonapartismus und den Machiavellismus abzugrenzen. Er sieht in Bonaparte den Nachfolger der Kondottieri aus der Renaissancezeit, der Tribune des römischen Plebs und jener 'Volkstyrannen', die im alten Griechenland nach dem Unntergang der Aristokratien hervorgetreten waren. Um Bonapartismus handelt es sich jedesmal, wenn der Führer seine Macht aus einem anderen-als-sich-selbst nimmt, jedesmal wenn er sich als ein 'Sohn des Volkes' hinstellt, und nicht als "der Vertreter einer höheren Humanität, die ein überlegenes Prinzip betont". "Während der traditionelle Begriff der Souveränität und der Autorität die Distanz in sich schließt", schreibt Evola, "während das Gefühl der Distanz bei den Untergebenen die Verehrung, die natürliche Ehrfurcht sowie eine Neigung zum Gehorsam und zur Loyalität gegenüber dem Führer erweckt, verläuft hier alles anders: auf der einen Seite der Macht: Aufhebung der Distanz; auf der anderen Seite: Abneigung gegen die Distanz. Der bonapartistische Chef verkennt, daß, je breiter die Basis, desto höher der Gipfel sich befinden muß. Als Sukkubus (Buhldämon) des 'Popularitätskomplexes' hält er an allen Äußerungen fest, die ihm das - selbst-trügerische - Gefühl geben können, daß das Volk ihm folgt und beipflichtet. Hier ist der Überlegene auf den Unterlegenen angewiesen, um ein Selbstbewußtsein zu empfinden; und nicht umgekehrt - wie es sich gehört."
Evola befürwortet somit eine Askese der Macht: "Es ist wichtig, daß Überlegenheit und Macht vereinigt sind, vorausgesetzt allerdings, daß Macht auf Überlegenheit gründet und nicht umgekehrt." Und hierbei beruft er sich auf Platon: "Die wahren Chefs sind diejenigen, die die Herrschaft nur aus Notwendigkeit führen, denn sie kennen keine ebenbürtigen oder besseren, die mit dieser Aufgabe betraut werden könnten" (Staat, 347 c).

Recht auf Waffen und Militärpflicht

Der 'militärische Stil', der lediglich eine der Erscheinungsformen der heroischen Werte ist, darf ebenfalls nicht mit dem Militarismus oder dem Krieg verwechselt werden: "Der kriegerische Gedanke beschränkt sich nicht auf einen Materialismus, bedeutet nicht Erhöhung einer brutalen Anwendung der Macht und der zerstörenden Gewalt. Die ruhige, bewußte, beherrschte Entwicklung der Innenwelt und des Verhaltens, die Liebe zur Distanz, die Hierarchie, die Ordnung, die Fähigkeit, die affektive und individualistische Komponente seiner selbst höheren Prinzipien und Zielen (vor allem unter dem Zeichen der Ehre und der Pflicht) unterzuordnen, sind wesentliche Bestandteile dieses Gedankens und die Grundlage eines bestimmten Stils, der zum großen Teil verlorenging, als die Staaten, wo dies alles einer langen, schweren (beinah Kasten-) Tradition entsprach, durch nationalistische Demokratien abgelöst wurden, in denen die Militärpflicht das Recht auf Waffen ersetzte."
Heutzutage, erinnert Julius Evola, sind die Kriege noch nicht verschwunden. Sie wurden vielmehr zu totalen Kriegen. Sie betreffen die gesamte Bevölkerung, die auf Grund des egalitären Prinzips militärdienstpflichtig ist, und alle Zivilisten. Ein Mensch der Elite ist also für Evola kein Ausnahmemensch, kein glänzender Redner, auch kein Genie. Er ist "derjenige, bei dem eine Tradition und eine 'Rasse des Geistes' zum Ausdruck kommen, der seine Größe nicht dem Menschen, sondern dem Prinzip, der Idee verdankt - in einer Art souveräner Uneigennützigkeit". Die entscheidenden Kriterien sind hierbei viel eher der Charakter und die Geistesart als die Intelligenz. Denn "die 'Weltanschauung' kann bei einem Ungebildeten stärker ausgeprägt sein als bei einem Schriftsteller; fester bei dem Soldaten, dem Angehörigen eines Adelsgeschlechts oder dem bodenständigen Bauern sein als bei dem intellektuellen Bourgeois, dem Professor oder dem Journalisten".
Die 'Weltanschauung' ist auch nichts Individuelles. Sie rührt selber von einer Tradition her. Sie ist die "organische Resultante der Kräfte, denen eine bestimmte Kultur ihre eigentümliche Form verdankt".
"Die Kultur", schreibt Evola ferner, "hört nur für denjenigen auf, eine Gefahr zu sein, der schon eine Weltanschauung hat. Gerade weil er über eine innere Konfiguration verfügt, mit deren Hilfe er - wie bei allen Prozessen organischer Assimilation - sicher unterscheiden kann, was assimiliert werden kann oder was verworfen werden muß (...) Die jedem zugängliche 'freie Kultur' hat eine ihrer schlimmsten Folgen darin, daß Leute, die nicht richtig unterscheiden können, die noch keine eigene Form haben, gegenüber allerlei Einflüssen geistig vollkommen entwaffnet sind."
Julius Evola behauptet erneut, daß er sich nicht an die Massen wendet, sondern an die egregoroi: an diejenigen, die in sich selbst die Idee einer Regeneration, einer Erneuerung tragen; an diejenigen, die, nachdem sie in der Geschichte 'versteinerten', weiterhin aufrecht bleiben. ("Man muß allerdings feststellen, wieviel Menschen unter so vielen Ruinen überhaupt noch aufrechtbleiben. Um zu begreifen.") Diesen wohlgeborenen Menschen gibt Evola zu erkennen, daß der Versuch, sich dem umgebenden Chaos unmittelbar zu widersetzen, vergeblich ist: die Strömung ist zu stark, als daß sie eingedämmt werden könnte. Es ist ratsamer, eine für unabwendbar gehaltene Entwicklung unter Kontrolle zu bekommen. "Wir müssen bestimmen", schreibt er, "inwieweit wir die zerstörenden Umwälzungen zunutze machen können; inwieweit das Nicht-Menschliche der modernen Welt, durch innere Festigkeit und Hinwendung zur Transzendenz, die Erfahrung eines höheren Lebens, einer höheren Freiheit begünstigen kann, statt zum Untermenschlichen zu führen (wie es in den meisten seiner gegenwärtigen Äußerungen der Fall ist)".
Eine fernöstliche Formel faßt diesen Rat zusammen: "Den Tiger reiten." Um ihn am Beißen zu hindern - und, möglicherweise, um sein Rennen zu steuern.

Eine Überwindung von oben erzielen

Demnach regt Evola eine radikale Infragestellung der bürgerlichen Gesellschaft an, eine Infragestellung aber, die der heutzutage in Erscheinung tretenden entgegengesetzt ist - die nur deren relative Antithese darstellt. Evola greift übrigens nicht das Bürgertum als Klasse an, sondern das Bürgertum als Geisteshaltung, d.h. "alles was mit der bürgerlichen Mentalität zusammenhängt, darunter ihren Konformismus, ihre psychologischen und romantischen Verwicklungen, ihren Moralismus und ihre Sorge um ein bescheidenes sicheres Leben, in dem der grundlegende Materialismus durch die Gefühlsduselei und den humanitaristisch-demokratischen Bombast ausgeglichen wird".
Und so wie "das Bürgertum in den traditionellen Kulturen eine mittlere Stellung zwischen dem kriegerischen sowie dem politischen Adel und dem Volk einnahm, so gibt es zwei Möglichkeiten, eine positive und eine negative, es als Klasse zu überwinden, gegen den bürgerlichen Typ, die bürgerliche Kultur, die bürgerlichen Werte und den bürgerlichen Geist Stellung zu nehmen. Die erste Möglichkeit besteht darin, eine Richtung einzuschlagen, die noch weiter nach unten führt, das heißt zu marxistischen gesellschaftlichen Werten, die dem sogenannten 'bürgerlichen Dekadentismus' entgegengesetzt sind (...) Das Ergebnis könnte nur ein neuer Rückschritt sein: man geht auf etwas zu, das sich unterhalb der Person, und nicht oberhalb ihrer befindet...
Es gibt aber eine andere Möglichkeit, und zwar eine Forderung und einen Kampf gegen die bürgerliche Mentalität, gegen den Individualismus und den falschen Idealismus, die noch entschiedener als die der Linksbewegungen, diesmal aber nach oben ausgerichtet sind. Diese zweite Möglichkeit greift auf die heroischen und aristokratischen Werte zurück, die klar und natürlich, ohne Rhetorik oder Bombast konkretisiert werden. Denn man kann Abstand zu allem wahren, was nur menschlich und vor allem subjektiv ist; man kann den bürgerlichen Konformismus, seinen kleinkarierten Egoismus und Moralismus verachten; man kann aktive Uneigennützigkeit als Lebensstil betreiben, das lieben, was im höchsten Sinne wesentlich und wirklich ist und vom Nebel der Sentimentalität bzw. der intellektualistischen Strukturen befreit ist; man kann sich einer radikalen 'Entmystifizierung' widmen - und das alles stehend, indem man die Offensichtlichkeit dessen prüft, was im Leben über das Leben hinausgeht, indem man daraus bestimmte Betätigungs- und Verhaltensregeln zieht."

Er gehörte zur Partei des Polarsterns

Julius Evola verbrachte die letzten dreißig Jahre seines Lebens als Einsiedler, die Beine gelähmt, unter seinen Gemälden, seinen Büchern und den Freunden, die ihn noch besuchten. Zum führenden Denker des einen Teils der italienischen Rechten und vor allem einer wachsenden Zahl Jugendlicher geworden, wurde er von der äußersten Linken angegriffen, die in ihm den 'geheimen' Ideologen irgendeiner Feme sehen wollte. Er blieb unerschütterlich, war entschlossen, sich niemals zu einer Polemik verleiten zu lassen: "Der tugendhafte Mensch läßt sich in keine Diskussion ein", sagte er mit Bezug auf Lao-tse.
Eine 1973 von Gianfranco de Turris herausgegebene Denkschrift (Testimonianzie su Evola) läßt den Einfluß erkennen, den er ausübte. Pierre Pascal verglich seine würdevolle, stolze Erscheinung mit der Montherlants: Zwei seltsame Riesen. "Beide gehörten", schreibt er, "zur Partei des Polarsterns."

Bibliographische Empfehlung zu dieser Frage:

Julius Evola, Gli uomini e le rovine, 1953.
Gianfranco de Turris, Hrsg., Testimonianzie su Evola, 1973.
Julius Evola, L'homme et l'oeuvre, 1977. Mit Texten von Jean Varenne, Michel Angebert, Pierre Pascal, Renato Del Ponte, Robert de Herte u. Vintila Horia.

(aus: Alain de Benoist, Aus rechter Sicht, Bd. 2, Grabert, Tübingen 1984, S. 343-354)

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